„Von der Wiege bis zur Bahre – Bänder braucht man in jeder Lage“ sagt Bernd Hartmann am Ende des Interviews. Jahrzehnte hat er in der Bandweberei gearbeitet. Nach der Wende musste er zusehen, wie viele Betriebe verschwanden – und hat sich gemeinsam mit anderen für die Einrichtung eines Museums stark gemacht. Mit Erfolg: Es bewahrt ein Stück Identität einer ganzen Region!
Anfang der 1990er Jahre ging sein Betrieb in Insolvenz und er verlor seinen Arbeitsplatz. Man bot ihm eine Weiterbeschäftigung für ein Jahr an, um die Maschinen, an denen er früher gearbeitet hatte, zu verschrotten. Dass er diese Maschinen heute in der Historischen Tuchfabrik Gebr. Pfau heute Besuchern und vor allem Jugendlichen vorführen kann, macht ihn stolz.
In dieser alten Fabrik hat Silvia Schumann mit 16 eine Lehre begonnen und dann 18 Jahre lang gearbeitet, bevor 1990 der gesamten Belegschaft gekündigt wurde. Hier Führungen für Besuchergruppen durchzuführen war anfangs für sie emotional kaum auszuhalten.
Nachdem Heidemarie Fliegner lange Jahre arbeitslos war, wusste sie nicht, ob sie überhaupt noch einen Webstuhl bedienen kann. Aber kaum hatte sie die Einrückstange in der Hand, war es so, als wäre sie nie aus der Weberei rausgewesen. Alles ist gut, sagt sie heute.
Frank Arnold war 22 Jahre im Bergbau, von der Lehre an. Als 1993 seine Fabrik geschlossen wurde, ist er zusammengeklappt. Heute sagt er, dass in der DDR die Fabriken auf Verschleiß gefahren wurden und unrentabel waren. Für die Braunkohle sieht er keine Zukunft mehr, aber er ist froh, noch Besucher durch das alte Werk führen zu können.
Als Kind hat sich Hans-Joachim Schmidt auf dem Gelände des Basaltwerks Baruth bei Bautzen herumgetrieben und gespielt. Als Schlosser hat er dort gearbeitet und dann das Werk bis zur Wende geleitet. Wenn er sich mit Gleichgesinnten nicht dafür eingesetzt hätte, dass das Werk unter Denkmalschutz gestellt wird, stünde es heute vielleicht nicht mehr.
Rainer Schiemann ist überzeugt davon, dass Betriebsleitung und Treuhand 1990/91 die Margarethenhütte aus Konkurrenzgründen zu westdeutschen Herstellern von Elektroporzellan geschlossen hat. Damit ging eine fast 150-jährige Firmengeschichte jäh zu Ende, und die fast 1.000 Mitarbeiter der Margarethenhütte und verschiedenen kleineren Zulieferbetrieben mussten den Weg zum Arbeitsamt gehen.
Wolfgang Ludwig hat jahrelang im Bezirk Dresden die Berufsausbildung für Fernmeldetechniker geleitet und geprägt. Seiner Meinung nach ging in der Branche mit der Wiedervereinigung nationales Wissen unwiderbringlich verloren, weil Ost und West ihre Fähigkeiten und ihr Wissen nicht zusammengebracht hätten. Stattdessen sei mit der Einführung neuer Technik ein wirtschaftlicher Konkurrenzkamp ausgebrochen, zugunsten des Westens.
Roland Müller hat 30 Jahre in der Leipziger Volkszeitung gearbeitet. Seine Leidenschaft gilt der Linotype, einer vollmechanischen Maschine, mit der die Schriftsetzer sehr viel schneller eine Zeitungsseite produzieren konnten als die Handsetzer, und die läuft wie ein Uhrwerk - wenn man sich damit auskennt. Dass er die Linotype Nr. 13, an der er jahrelang gearbeitet hat, heute im Leipziger Museum für Druckkunst vorführen darf, ist ein großes Glück für ihn.
Hans-Georg Hoppe hat 1943 seine Lehre als Feinmechaniker in der Leipziger Präzisionswerkstatt Johannes Hammer begonnen. In demselben Jahr musste die 17-jährige Tochter Christa Hammer die Werkstatt übernehmen, nachdem ihre Eltern bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen waren. Sie führte die Werkstatt bis zur Wende und hoffte auf Aufschwung durch die Wiedervereinigung. Doch seit 1993 steht die immer unverändert gebliebene Werkstatt still.
Elvira Rauch hat in der DDR Kristallografie studiert und jahrelang in der Glasherstellung gearbeitet. Nach der Wende wurde sie arbeitslos und musste eine Herabstufung der Bezüge hinnehmen, weil es in der Region keine Arbeit für Kristallographen gab. Sie bildete sich weiter und machte Abschlüsse als staatlich geprüfte Betriebswirtin und Assistentin für Bibliotheken, bevor sie 2008 Leiterin des Glasmuseums wurde.
Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Stickereiproduktion in Plauen und im Vogtland mit ca. 16.000 Stickmaschinen ihren Höhepunkt. Aus dieser Zeit stammen auch die eindrucksvollen Maschinen in der Schaustickerei, die Angelika Guhle heute den Besuchern vorführt. Mit der Wende ist die Stickereiproduktion massiv eingebrochen. „Warum haben unsere Stadtväter die Plauener Spitze nicht erhalten?“ fragt Angelika Guhle, die sich seit ihrer Entlassung aus dem VEB Plauener Spitze 1993 durch Arbeitslosigkeit, ABM-Maßnahmen und Bundesfreiwilligendienst hangelt.
„Es hätte können so weitergehen“ sagt Thomas Kurz und meint damit seinen kleinen Druckereibetrieb im Erzgebirge, wo er bis zur Wende Gebrauchsanleitungen, Kirchenblätter und andere kleine Drucksachen produzierte. Nach der Wende musste er technisch aufrüsten und in Computertechnologie investieren, zum Preis von einem Einfamilienhaus, wie er sagt. Heute führt er im Museum für Druckkunst in Leipzig die Handsetzerei vor, die seiner Meinung nach gestalterisch anspruchsvoller ist als der übliche Computersatz.
Günther Jornitz, Büromaschinenmechaniker und Kundendienstleiter für die Buchungsmaschine Ascota 170, die zu DDR-Zeiten in über 100 Länder exportiert wurde. Nach der Wende wurde der Kundendienst für die Ascota eingestellt und die Maschinen aus der Bürowelt ausrangiert. Mit einem kleinen Team baute er eine große Sammlung unterschiedlichster Modelle für das Industriemuseum in Chemnitz auf: 1.000 Maschinen stehen jetzt dort im Depot.
Gerhard Sonntag hat 21 Jahre bei Heckert Maschinenbau in Chemnitz gearbeitet, zunächst als Ingenieur. Nach der Wende wurde er zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt und hat die Arbeitskämpfe um den Erhalt der Firma angeführt. Ohne diese Kämpfe hätte die Treuhand die Firma geschlossen. Trotzdem musste er sich 1998 beim Verkauf an Starrag mit allen anderen Mitarbeitern neu bewerben - und wurde nicht übernommen.
„Wo kommen diese Strümpfe her?“ fragt sich Manfred Tränkner, der an keinem Strumpfstand vorbeilaufen kann. In Gelenau, wo er herkommt, hat bis zur Wende praktisch jeder in einem der 39 Strumpfbetriebe gearbeitet. Heute gibt es dort nur noch einen kleinen Hersteller. „Wo sind all die Maschinen hingekommen?“ fragt Manfred Tränkner, der nach der Wende viele Jahre das Strumpfmuseum geleitet hat.
Mit dem Tag der Währungsumstellung wurde Monika Köhler arbeitslos und brauchte lang, um sich aus dem Loch, in das sie gefallen war, wieder herauszuarbeiten. Anderen ging es noch schlechter: „Ich kenne welche,“ sagt sie, „die haben nie wieder eine Arbeit gefunden. Die sind dann jetzt die 30 Jahre zuhause und haben auch nichts für die Rente verdient. Die hätten auch etwas anderes gemacht, irgendwas, aber es gab ja nichts, weil alles so spezifisch Textil gewesen ist in der Oberlausitz.“
Bodo Mäder kam 1985 als junger Ingenieur für Elektroenergieanlagen zum VEB Pentacon und hat nach der Wende die Umwandlung vom Kamerawerk über eine Immobiliengesellschaft bis hin zum Museum miterlebt. Stellvertretend für unzählige DDR-Bürger schildert er die Transformationsprozesse im Nachgang der Wende und was sie von jedem Einzelnen, der sie durchlebte, abverlangten.
„Die reine Mechanik ist Geschichte, jetzt gibt es nur noch Elektrik und Elektronik“ sagt Eberhard Bley und hofft, dass die Maschinen der 1887 gegründeten Filztuchfabrik Moritz Weidenmüller nicht auf dem Schrott landen. 30 Jahre lang hat er die Maschinen aus Leidenschaft gepflegt und am Laufen gehalten. Zu sehen, wie die riesigen rein mechanischen Ungetüme feinstes Garn produzieren, begeistert ihn – und jeden, der die Fabrik betritt.
Eigentlich war allen klar, dass der Bergbau nach 800 Jahren eingestellt werden muss, wenn man zum 8-10-fachen Weltmarktpreis produziert und gleichzeitig auf die D-Mark umstellt. Der Absatz bricht zusammen. Dass der letzte Tag ausgerechnet auf den ersten Tag der Deutschen Einheit 1990 fiel, gehört zur Tragik der Geschichte. In dieser Situation war es für viele Bergarbeiter ein Glück, dass noch jahrelang Verwahrarbeiten durchgeführt werden mussten, und Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die Arbeiten in den Schächten untertage sind erledigt, dorthin werden jetzt Besucher mit der alten Seilfahrt hingebracht. Übertägig sieht man der Landschaft noch die jahrhundertelange Tradition an.